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Wenn ich an der Qualität der Zeitung zweifle

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Vor zwei Tagen schrieb Christian Lüscher im Tagesanzeiger unter dem Titel „Steiniger Weg zum Bezahlmodell“ über die NZZ Online. So vieles wurde vermischt (auch in der emotionalen Kommentarspalte) und zwei Sachen beschäftigen mich seit dann:
1) Die bei Wemf in den Vordergrund gestellten Zahlen sind Bullshit
2) Und (zumindest beim Tagi) hat der Inhalt es Artikels nicht wirklich was mit dessen Titel zu tun
Die zentrale Aussage des Artikels ist, dass es mit der NZZ Online grad dramatisch bergab geht. Belegt wird dies durch die folgenden (geheimen) Zahlen:

Konkret: Im Juli verzeichnete die Seite 28 Prozent weniger Seitenaufrufe und 22 Prozent weniger Besuche als im Vorjahr, und das mehr oder weniger bei allen Ressorts. Einzig der Wert Unique Clients erholte sich vom Juni-Tief und erreicht im Juli das Niveau von Mai.

Im selben Artikel steht, dass die NZZ Online ein Redesign gemacht hat. Nun kann man vom Redesign halten was man will, aber wie wirkt die obige Aussage mit dem folgenden Wortlaut: „Die Anzahl der Unique Clients bleibt stabil, da die User beim neuen Layout weniger klicken müssen, konnte die Anzahl der Ladevorgänge um fast eine Drittel reduziert werden.“
Was ist schlimm dran wenn User weniger klicken müssen und sich die gewünschten Informationen direkt ab der Homepage oder aus dem Anreisstext holen. Fakt ist, dass die Anzahl Besucher nach einem einmaligen Einbruch auf dem vorherigen Niveau gehalten werden konnte. Wenn sich die Werbeindustrie da was anderes denkt ist das doof und durch den Fokus des Journalisten (oder von Wemf?) auf Seitenaufrufe (Page Requests) und Besuche (Vistis/Sessions) wird das ganze erst dramatisch. Oder wann ist eine Zeitung erfolgreich?
Zudem – und das wäre das echte Thema – hängt der Erfolg nur am Inhalt. Und zwar Inhalte die nicht nur dem (Transport)Medium angepasst sind, aber auch der Kontext der User. Anreisstexte die Lust machen auf mehr, attraktive Bilder die zum klicken verleiten, extrem zeitnahe Berichterstattung bei Anlässen u.s.w. Also beispielsweise Antworten auf die typischen mobilen Anwendungsfälle sowie Geschwindigkeit und Voyeurismus gepaart mit ein (bisschen) Tiefe. Am selbst Redesign hängt nicht so viel.
Und dann noch der zweite Punkt nämlich die (im Titel versprochene) Einführung des Bezahlmodells. Eine schwierige und aufwändige Diskussion. Aber nicht im Artikel drin. Und spätestens dort messen wir hoffenlich nicht Clicks und Sessions aber Return on Investment.
Uff.
Und was mir auch noch aufgefallen ist. Berichtet der Tagi über gute Zahlen der NZZ online so wird der Schriftzug „von unten“ abgelichtet und geht es um Kritik ist die Perspektive auf Augenhöhe 😉

PS: Und für Insider noch eine Aussage zum Redesign: «und so Züügs macht mi hässig!»

7 Kommentare

  • Ein weiteres Beispiel dafür, dass sich mit der Qualität des Tages-Anzeigers wohl nie ein Bezahlmodell rechtfertigen lässt.
    Kann es sein, dass du den falschen Christian Lüscher (Politiker) verlinkt hast?
    Und vielleicht möchtest du noch folgenden Fehler korrigieren:
    1) Die bei Wemf in den Vordergrund gestellte Zahlen sind Bullshit – > 1) Die bei Wemf in den Vordergrund gestellteN Zahlen sind Bullshit

  • Hallo Christoph
    und danke für die Anmerkung. Den Link auf den falschen Herrn Hess habe ich entfernt (von dem richtigen finde ich keine Webpage — mag einen Zusammenhang haben ;). Und auch der Typo ist weg.
    Eine schönes WE,
    Jürg

  • Lieber Jürg
    1. Ich bin Reporter bei Tagesanzeiger.ch/Newsnet und kein Offline-Journalist. Vielleicht bin ich nach dem Konvergenzprozess einer.
    2. Warum haben wir die Geschichte gemacht? Sicher nicht um die NZZ zu demütigen. NZZ-intern war das Feedback auf den Artikel so: Bravo, sachlich und ohne Häme. Aber warum? Seit Monaten spricht die NZZ von einer Paywall. Durch das Vorpreschen der NZZ denken alle Schweizer Medienhäuser nun über eine Paywall nach. Das Thema Paywall wird als Existenzfrage betrachtet (relevantes Medienthema)! Sie einzuführen ist allerdings schwieriger als gedacht. Die NZZ hat bereits einen ersten Starttermin verschoben.
    3. Die Zahlen sind extrem wichtig, weil man beides, Reichweiten- und Bezahlmodell, führen will (siehe Aussage von PH im Text). «Was ist schlimm dran wenn User weniger klicken müssen» – es kann doch nicht das Ziel einer nationalen Newsseite sein, dass die User weniger klicken. Das Ertragsmodell basiert auf der Anzahl Klicks. Oder etwa nicht Jürg? Wie sollen die Gehälter bezahlt werden? Rein aus dem Lesermarkt? Nicht mal die NYTimes schafft das.
    4. Soeben habe ich mir die Netmetrixzahlen der NZZ vom August angeschaut. Es ist «amtlich» bestätigt: Sämtliche Kennzahlen sind seit Relaunch (und teilweise Vorjahr) rückläufig. Andere Newsseiten hingegen konnten zulegen. Etwas läuft schief. Ist es womöglich der Inhalt? Die Aufmachung?
    5. Zum Thema Inhalt: Ich würde von dir gerne eine kritische Auseinandersetzung lesen, was du von der App und vom Onlineauftritt der NZZ hälst. Als Vorlage gebe ich dir ein schönes Zitat aus dem internen Report der NZZ auf den Weg. Die NZZ-Verantwortlichen schreiben ihren Blattmachern, dass die Aktualität der Artikel sowie die Attraktivität der Startseite wichtig sei und diese zum anklicken animieren muss.
    Das muss man nicht weiter kommentieren, oder?
    Gruss
    Christian

  • Hallo Christian
    und vielen Dank für Deinen Kommentar. Gerne wegräumen würde ich den Punkt 5, denn sowohl Konzept/Design wie auch Technik des neuen Online-Auftritts wurden mit Mitbewerbern gemacht und meine ‹kritische Auseinandersetzung› würde einen nützlichen Dialog hervorrufen. Mit PH führe ich das persönliche Gespräch selbstverständlich.
    Für mich bleibt das Problem bestehen, dass im Titel was von Paywall steht, der Artikel selbst aber keine Bezug dazu hat. Eigentlich ist der Inhalt gegenteilig… die Paywall wäre ein „weg von Werbeeinnahmen“ und die Netmetrix-Zahlen sind „hin zu Werbeeinnahmen“.
    Für mich sind und bleiben die genannten Zahlen die falschen. Aus Sicht des Users will ich weder klicken noch will ich die Website als Medium besuchen… ich will den Inhalt in dem Format und auf dem Kanal den ich bevorzuge. Niemand will klicken, wir müssen alle klicken. Tauglichere Kennzahlen einer Website beziehen sich auf Konversionsziele die beispielsweise Leser-/Kundenloyalität messen. Die Zeitung will auch keine Werbung verkaufen sie muss. Die Anzahl Views zu optimieren ist viel zu kurz gedacht da dieses Modell am sterben ist wie die erfolgreichen Kommunikationsanbieter zeigen. Wertvoll sind langfristig loyale Leser.
    Man will nicht beiden (Reichweiten- und Bezahlmodell) man braucht beides. Ein modernes Reichweitenmodell basiert aber nicht auf Views aber auf Transactions. Bei „Display-Pferd“ taugt eine schärfere Peitsche nicht mehr für einen bessere Zeit. Hier muss komplett umgestellt werden – eine sehr schwierige Aufgabe. Internet-Nutzer haben aber auch begonnen für Musik online zu bezahlen aber nicht bei den Musikverlagen die im alten Modell verharrt sind aber bei Firmen wie Apple oder Spotify.
    Gerne führe ich die Diskussion weiter. Gerne auch persönlich bei einem Bier. Aber noch eine Frage zum Schluss: Du bis Reporter bei dem grössten Online-Netzwerk der Schweiz ich habe aber keine Website / Weblog etc. von Dir gefunden. Habe ich ungenügend recherchiert?

  • Ich bin Reporter beim grössten Onlinenetzwerk. Ich betreue aber auch den Bereich Social Media beim grössten Onlinenetzwerk. Und ich schreibe privat auf hype5.ch.
    Zur Diskussion: Die würde ich lieber bei einem Bier führen 🙂 . Ich habe auf jeden Fall einen anderen Standpunkt.

Von Jürg Stuker
Digital sozialisiert, Denker, Macher und Angel Investor.