Digital sozialisiert, Denker, Macher und Angel Investor.

Behinderungsarten und Gehörlosigkeit

B

Viele Leute reden von behindertentauglichem (barrierefreien) Internet und wenige «machen» es. In der Schweiz gibt es ein Gesetz und eine Verordnung, welche alle Dienstleister der öffentlichen Hand (Bunde, Kanton, Gemeinden…) und von ihnen konzessionierte Betriebe dazu verpflichet. Auch eine griffige Einsatzrichtline (die P028) ist für den Bund da. Soweit ist die Geschichte bekannt.

Ein SEHR wichtiger Aspekt sind die unterschiedlichen Behinderungsarten. Hier habe ich im Rahmen meines Vortrages am Fraunhofer Institut heute nochmals einen wichtigen Teil dazugelernt.

Grundsätzlich haben Menschen mit verschiedenen Behinderungen verschiedene Anforderungen bei Internet-Anwendungen. Der Fokus bei der Diskussion ist häufig die Blindheit und damit verbunden das Hilfsmittel Sprachsynthese (und evt. Braille-Zeile) für Web-Anwendungen. Meist denken die Leute auch noch an Sehbehinderte und dem damit verbundenen Hilfsmittel der Bildschirmvergrösserung.
Doch das Gesetz nennt weitere Behinderungsarten mit weiteren Anforderungen Art. 10 Abs. 1 BehiV:

Die Information sowie die Kommunikations-und Transaktionsdienstleistungen über das Internet müssen für Sprach-, Hör- und Sehbehinderte sowie motorisch Behinderte zugänglich sein. Zu diesem Zweck müssen die Internetangebote entsprechend den internationalen Informatikstandards, insbesondere den Richtlinien des World Wide Web Konsortiums (W3C) über den Zugang von Internetseiten, und, subsidiär, entsprechend den nationalen Informatikstandards eingerichtet sein.

Ein eindrücklicher Vortrag hielt heute Ralph Raule vom Gebärdenwerk. Die Kernaussage ist, dass die Muttersprache eines Gehörlosen die Gebärdensprache ist. Diese ist eine eigene Sprache, die strukturell näher an afrikanischen oder asiatischen Sprachen ist als am Deutschen.

Für Menschen, die prälingual ertaubt sind, muss jeder weitere Sprache erlernt werden. Herr Raules Vergleich war der eines hörenden Deutschen, der nach Frankreich zieht und sich dort — beispielweise auf einem Amt — verständigen muss.
Gehörlose Menschen sprechen nicht eine simple/einfache Sprache, aber eine andere Sparche. D.h. es gibt keine einfache nützliche Transkription, aber Gebärdensprache ist immer eine Übersetzung und erzeugt auch den damit verbundenen Aufwand.

Blindheit trennt von den Dingen Taubheit trennt von den Menschen (Helen Keller)

Können Gehörlose nicht an der Kommunikation teilnehmen so wie wir die pflegen (mit Lausprache), so werden sie von Leben isoliert. In der realen Welt aber auch in Internet. Er nennt dies die «Spirale der Defizite».

Spirale_der_Defizite: Keine Kommunikation, Keine Information, Keine Teilhabe, Isolation, Abhängigkeit
Hier der lesenswerte Vortrag von Ralph Raule: Barrieren im Internet – auch für gehörlose Menschen [pdf, 278 KB]

4 Kommentare

  • Da scheint noch ein «-Sonderzeichen «hängengeblieben» zu sein im Hyperlink auf das PDF:
    Error:
    Not Found
    The requested URL /2006/Gehoerlose_im_Internet_Ralph_Raule_Gebaerdenwerk.pdf» was not found on this server.

  • Sehr interessantes PDF, habe gerade zwei Artikel über Screenreaderuser verfasst und auf Grund der Mails die ich unter anderem daraufhin erhalten habe, merkt man deutlich das in diesem Bereich noch eine Menge Aufklärungsbedarf besteht.

  • Defizitspirale? Das ist ein Gruselwort aus dem Sonderpädagogenwortschatz mit guten Chancen auf den Preis zum «Unwort des Jahres».
    Blindheit trennt von den Dingen? Gehörlosigkeit von den Menschen? Wo bleibt das soziale Modell von Behinderung? Trennt wirklich die Behinderung von irgendwas? Oder ist es nicht vielmehr die fehlende Barrierefreiheit? Helen Keller war stark geprägt durch die Umstände ihrer Zeit. Sowas würde heute doch keiner mehr unterschreiben, der das soziale Modell von Behinderung verinnerlicht hat.

Digital sozialisiert, Denker, Macher und Angel Investor.