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Zwei Fragen zu Online Kommunikation

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Morgen darf ich an der Shape-Konferenz von Microsoft (die mit der vielsagenden Tagline: «Sind Sie bereit für das Online-Business der Zukunft?») an der Panel-Diskussion teilnehmen.
Und so hätte ich (in der festen Überzeugung dass die Leser dieses Weblogs mehr wissen als der Schreiberling) zwei Fragen/Thesen an Euch:

1) Gründe weshalb die Schweiz in Sachen Online Kommunikation relativ gesehen hinten nach hinkt (sagen wir mal im Vergleich zu den USA und zu Deutschland)

2) Wie haben die digitalen Möglichkeiten die Marketingkommunikation verändert

Danke für Input und evt. bis morgen (ich bin den ganzen Tag an der Konferenz)

15 Kommentare

  • Hallo Jürg
    A la brainstorming ein paar Punkte, die mir spontan in den Sinn kommen.
    Ad 1)
    – Ein Silicon Valley gibt es – noch – nur in den USA. Mit all dem was das Silicon Valley ausmacht. People infected with a disease called entrepreneurship. Forgiving of failures. Intense competition. Focus on educating engineers. Encouraged immigration.
    – Die USA sprechen englisch. Und das Online-Medium war zur Geburtsstunde aus der Science lingua franca kommend ebenfalls englisch. Ein kleiner Vorsprung, der so schon bei der Adaption von digitaler Technik in den Jahrzenten davor von Bedeutung war.
    – Ein gravierender kultureller Unterschied. Das US «Just do it!» versus European erstmal analysieren, interpretieren und planen.
    – Unternehmensgrössen: Eine Microsoft Schweiz als Online-Kunde hatte einfach nie die Budgets, um Projekte online zu realisieren, die von einer Microsoft Deutschland bezahlt wurden. Von einer Microsoft Corp. möchte ich garnicht sprechen 😉 Das gleiche gilt für Behörden als Online-Kunden.
    – Ein weiterer kultureller Unterschied in der Kommunikation: Der Schweizer übt sich mehr in Zurückhaltung als der Deutsche und dieser wiederum mehr als der US-Amerikaner. Hinkt denn die Schweiz tatsächlich hinterher? Oder stellt sie ihr Licht nur stärker unter den Scheffel?
    Ad 2)
    – Die ganze Geschichte mit DIY PR, Markets are Conversations (Cluetrain Manifesto – http://www.felgner.ch/2008/07/social_media_1.html) und die Trends, die u.a. Seth Godin in Meatball Sundae beschreibt – http://www.felgner.ch/2008/11/452_the_new_marketing.html.
    Trend 1: Direct communication and commerce between producers and consumers.
    Trend 2: Amplification of the voice of the consumer and independent authorities.
    Trend 3: Need for an authentic story as the number of sources increases.
    Trend 4: Extremely short attention spans due to clutter.
    Trend 5: The long tail.
    Trend 6: Outsourcing.
    Trend 7: Google and the dicing of everything.
    Trend 8: Infinite channels of communication.
    Trend 9: Direct communication and commerce between consumers and consumers.
    Trend 10: The shifts in scarcity and abundance.
    Trend 11: The triumph of big ideas.
    Trend 12: The shift from «how many» to «who».
    Trend 13: The wealthy are like us.
    Trend 14: New gatekeepers, no gatekeepers.
    VG, Harald

  • 1.) Ich denke das ist vor allem eine Frage der Kultur. Das Internet ist immer noch ein Risiko für viele in der Unternehmenskommunikation und Schweizer sind wohl eher risikoavers. Sei dies aufgrund des Bubbles oder einfach, weil die technische Komponente für Marketingverantwortliche nur schwierig einzuschätzen ist. Zusätzlich ist es eine Frage der Kontrolle, einerseits von Inhalten andererseits vom Zugriff. Des weiteren werden Zeitschriften, Plakate oder Spots immer noch als qualitativ Hochwertiger gesehen als Webseiten.
    Zusätzlich gab es vor allem in den USA einige Fälle, wo sich das Internet als starker und nicht ignorierbarer Kommunikationskanal erwiesen hat. Sei es bei der Kampagne von Obama oder den defekten Akkus von Dell und Sony.
    Dann ist es selbstverständlich noch eine Frage der Marktgrösse und der Sprachenvielfalt. Vielfach werden Kampagnen in der Schweiz einfach aus Frankreich, Deutschland oder Italien geklaut. Da Webseiten immer auch einen «regionalen» Charakter haben (teilweise auch nur durch das .ch) ist ein simples «Copy-Paste» nicht so einfach.
    2.) Die Kommunikation ist wesentlich direkter, schneller, weitreichender und vernetzter. Diese dynamik gab es früher schlicht nicht.
    Sie fordert tatsächliche Präsenz, Engagement und vor allem Authentizität von Marketingverantwortlichen da der Kunde immer mehr zum «Partner» wird.
    Unternehmen können zwar dadurch näher an immer komplexer zu «definierenden» Kunden herantreten und von dieser Beziehung profitieren (Brand Evangelists, Lead User Innovation, Testing oder Virale Kampagnen) aber dafür fordert der User auch mehr als früher.

  • 1. Weil bei uns die meisten Marketingverantwortlichen immer noch fest überzeugt sind, dass die langjährigen (Analogen) kreativ Agenturen das Thema Online Kommunikation verstanden haben (z. Bsp. Analytics, Viral Marketing, SEO/SEM etc.). 😉
    Weil wir letztes Jahr auch schon Plakate, Inserate und Broschüren gedruckt haben, und immer noch nicht wissen welche Conversions damit erreicht werden und die Online Kampagnen ja so enttäuschende, messbare Conversions liefern. 😉
    Weil die Kanäle nicht zielorientiert ausgewählt werden sondern zuerst Offline geplant und realisiert wird und Online anschliessend «kompormisslos» adaptiert wird. (Zum Beispiel bei Bannern)
    Weil SEO und SEM halt leider nicht visibel sind.
    2. Online Marketingkommunikation = ins Online Format vergewaltigte Plakate, Inserate und Broschüren.
    Der Dialog ist brutal direkt, wenn man sich darauf einlässt (und erst recht, wenn man es nicht macht. Siehe Kryptonite Fahrradschlösser als Beispiel)
    Die Geschwindigkeit der Verbreitung ist rasant, wenn es richtig zündet. Der Schuss kann aber auch mal nach hinten losgehen.

  • Hoi
    Es liegt nicht nur an der Kultur dieses Landes, sondern auch an der starken Stellung weniger Verlage im Online Bereich.
    Um ihr Kerngeschäft Print zu sichern, versuchen sie auch auf ihren verkehrsträchtigen Onlineseiten sehr hohe Werbepreise aufrechtzuerhalten. So wird Onlinewerbung relativ uninteressant.
    Gleichzeitig gibt es dadurch aber Chancen für unabhängige Publisher, nur müssen die natürlich noch stärker im Vertrieb werden, ein Bereich, der dem Schweizer nicht so nahe steht, wodurch wieder bei der Kultur sind.
    Gruss
    yabadabidu

  • Dann sehen wir uns gleich. Bin gespannt, was Microsoft so alles im Startup Bereich machen will. Sie haben ja den Anschluss deutlich verpasst.
    Gruss yabadabidu

  • Hi Jürg
    Auf die Schnelle noch ein paar Gedanken zu Deinen Fragen:
    1) Ist das wirklich so? Und meinst Du damit eher die Gelder, die in die Onlinewerbung fliessen oder das kreative Niveau? 😉 Solltest Du (auch) zweiteres meinen, stimme ich meinen Kollegen Harald und Nils zu, was die kulturellen Unterschiede angeht. Zu kreativer Werbung braucht es (auch) Mut. (Neben guten Insights, einer guten Strategie, Idee, Relevanz) Und das ist so ein Ding mit dem Mut in der Schweiz. (Sowohl auf Kunden- als auch auf Agenturseite). Immer schon Analysieren, Berechnen, Absichern. Gehen wir doch mal noch einen Schritt weiter als Europa und USA – Asien, Japan. Hätte so eine Kampagne auch in der Schweiz funktioniert? http://www.uniqlo.jp/uniqlock/
    2) Verändert hat sich meiner Meinung nach vor allem der Konsument. Die Marketingkommunikation hat sich (noch) zu wenig verändert und geht noch z wenig darauf ein. Die Leute glauben nicht mehr alles und haben schlichtweg keinen Bock mehr auf langweilige «Umwerbung». Der Konsument von heute ignoriert, partizipiert und beeinflusst. Und ja, dazu beigetragen hat natürlich der Online Kanal und die ganze OSM (Open Source Marketing) Bewegung. Siehe auch http://www.collaboratemarketing.com/open_source_marketing/
    Die Chancen liegen nun darin, darauf einzugehen. Dazu bietet Online mehr Möglichkeiten als (nur) Offline. Die Risiken liegen darin, dieselben Fehler zu machen, die man schon immer bei schlechter Werbung machen konnte und die Veränderung der Konsumenten zu ignorieren.
    Die Erwartung an Messbarkeit von Kampagnen ist ganz klar gestiegen. Nur wie und was gemessen werden soll, darüber sind sich noch nicht ganz alle einig. PIs, Unique Visits, Aktivitätsindex, Conversion Rates oder sogar der Ruf einer Marke im Online Universum? Gute Zeiten für Firmen wie Buzzient. 😉 http://www.buzzient.com/
    Fakt ist, ohne Online hätten Kampagnen wie Obama, Horst Schlämmer, Hornbach oder uniqlo nicht halb so gut oder gar nicht funktioniert. Vergessen darf man aber nicht, dass Werbung, die wirkt und ankommt, also relevant ist, immer eines gemeinsam hat: Eine gute Idee. Und das kann nach wie vor auch in klassischen Kanälen funktionieren (und eventuell durch Online noch stärker verbreitet werden ;-)) http://media.adc.de/gewinner/17/index11.html oder http://media.adc.de/gewinner/17/index04.html

  • ja, ja .. die Schweizer lieben das Risiko nicht .. warum auch – es geht uns einfach (noch) zu gut .. Finazkrise hin oder her.
    wenn online Kommunikation letztendlich Effizeinsteigerung bringt .. und Effizeinzsteigerung wirklich überlebenswichtig wird, dann werdens auch die Schweizer begreifen 🙂

  • «Die Erkenntnis, dass die Kommunikation einen wichtigen Beitrag zur Unternehmensstrategie
    leistet, und somit einen Sitz im Management benötigt, zeichnet die Unternehmensleitung
    kommunikativ erfolgreicher Unternehmen aus.» (Quelle: http://www.kommunikationsaudit.ch/pics/kommunikationsaudit_modell.pdf (pdf, 145KB)
    .. da müsste man halt mal nachbohren, wo in Schweizer Unternehmen denn die Kommunikation aufgehängt ist – mit nur so nebenbei läuft da halt nix .. auch online nicht.

  • Ich wollte zuerst live blogggen… habe aber nicht wirklich neues erfahren… in paar gute Referenten (mit nicht-neuen Themen/Aussagen) und viele Leute. Aber zum bloggen hat es mir von Inhalt her nicht gereicht 😉

  • Für alle die wissen wollten, wie es denn war. Hier mein subjektiver Eindruck. Es war eine Microsoft Konferenz, wo viele Case Studies keine Microsoft Technik verwendet haben. Auffällig und positiv ist, dass Microsoft nicht krampfhaft versucht nur ihre Cases zu pushen. Dafür verdienen sie Respekt.
    Die Diskussion mit Jürg war recht flau, woran aber Jürg wenig kann. Die Werber haben sich beweihräuchert, sind aber nicht wirklich auf das Thema eingestiegen. Die Werber glauben immer noch, dass ihre Kunden Online wenig wollen und dass eine gute Idee immer im Vordergrund stehen muss.
    Das mit der Idee ist natürlich richtig, aber dass heisst nicht, dass Ideen, die in Print oder TV funktioniert auch im Online gehen. Den klassischen Werbern fehlt das Verständnis, was Interaktivität des Mediums heisst. Für sie steht Multimedialität im Vordergrund und wahrscheinlich können sie mit Textanzeigen a la Google Adwords Nichts anfangen. Wie hässlich! Sie sehen sich immer noch als grosse Unterhalter, was sie sehr gut können.
    Auffällig war die Selbstgefälligkeit der Werber. Eine Agentur hat sich dadurch ausgezeichnet, dass ihre Webseite nicht mit dem iPhone oder mittels Opera Mini aufrufbar war, weil eben alles schön in Flash gemacht ist. Das ist ihre Welt, die Schönheit. So Sachen wie Userbility oder gar Suchmaschinen stehen nicht sehr hoch bei ihnen auf der Agenda. Das würden sie natürlich anders sehen, aber das ist ja auch nur eine persönliche Meinung von mir.

  • Vielen Dank für die Zusammenfassung yabadabidu. Da ich wohl auch zu den «Kreativen» (rein von der Zuordnung zu unserer Kompetenz «Kreation») zähle, möchte ich hier doch nochmal etwas loswerden. Wobei ich hier einmal mehr betonen möchte, dass alle, die an einem guten Online-Projekt arbeiten kreativ sind, ja sein müssen, denn die beste Idee nutzt nix, wenn sie nicht bestens webgerecht umgesetzt wird (Das sagtet Ihr bereits). Und damit wären wir auch schon beim Thema. Ich will einfach nicht glauben, dass eine gute Idee, «Schönheit» – ich nehme mal den Begriff «Ästhetik» 😉 und Interaktivität nicht vereinbar sind. Das zu akzeptieren, weigere ich mich schlichtweg. Und genau das sehe ich als unsere Aufgabe an, dies zu vereinen. Das ist ja gerade das Spannende am Online Medium – dass kreative Arbeit eben nicht nur in der Anfangsphase stattfindet und in einer zweidimensionalen (Print) oder linearen (Spot) Anwendung endet, sondern es darüber hinaus geht. Dass eben Content, Interaktivität, Verknüpfung, und Benutzerführung dazukommt und es viel komplexer macht. Das ist auch der Grund, weshalb ich mich (auch nach Arbeit in der klassischen Werbung) für Online entschieden habe. @yabadabidu und Erich: Ja, auch ich erlebe hin und wieder eine Arroganz bei «klassischen» Agenturen – sowohl Branding- als auch Werbeagenturen. Und ich verstehe sehr gut, was Ihr meint. Aber ich habe es auch schon erlebt, dass die Zusammenarbeit mit der ein oder anderen Agentur hervorragend lief und sehr befruchtend war. Das geht aber nur, wenn man dem anderen jeweils in seiner Fachkompetenz vertraut und sich nicht zu schade ist, etwas dazuzulernen. Den anderen respektiert und versucht, zu verstehen. Aber ja, passiert leider noch zu wenig. Vielleicht brauchen wir auch ganz neue Modelle und müssen uns (endlich) von diesem Kanal-Denken verabschieden. Vielleicht müssen wir endlich einfach versuchen, gute, relevante Kommunikation zu machen, egal für welchen Kanal.

Von Jürg Stuker
Digital sozialisiert, Denker, Macher und Angel Investor.