Digital sozialisiert, Denker, Macher und Angel Investor.

Preis und Kaufabwicklung für Verlage auf dem iPad

P

Verlage wittern mit dem iPad Frühlingsgefühle. Vielleicht gelingt es doch noch Printprodukte in die Online-Welt zu retten und bezahlende User zu gewinnen?
Ja, ich halte die Chance für real, aber auf dem Weg dorthin gilt es einiges richtig zu machen (insb. auch im Bezug auf Inhalte und der Anwendung und deren Datenhaltung). In diesem Post beleuchte ich den Aspekte der Preisgestaltung (und der Kaufabwicklung) von Zeitungsanwendungen (Zeitschriften eingeschlossen) für das iPad. Ich nenne diese der Einfachheit halber «ZeitungsApp».
Werbung als Bezahlsurrogat?
Für mich gibt es zwei Arten der Online-Werbung: 1) Solche die man gerne liest/erlebt und 2) das Joch des fehlenden Zahlungssystems im Internet.
Werbung die Spass gehört für mich nicht in die ZeitungsApp selbst, aber in einen eigene App. Meine Wahl darüber was ich will findet bei der Auswahl der App statt oder so wie es Donald Norman mal schön zu Widgets gesagt hat: «The user knows what to do just by looking: no picture, label or instruction needed». Ein schönes Beispiel für eine solche App ist «Guardian Eyewhitness», in welcher die Zeitung zusammen mit Canon pro Tag ein exzellentes Bild publiziert.
Nun zur Werbung die niemand will, die Prothese für fehlende Bezahlsysteme. Meist erlebt man diese in Form von beweglich blinkenden Elementen, die sich vor den Inhalt stellen, so wie der Rausschmeisser des Edelclubs wenn ein normaler Mensch rein will. Diese braucht es nicht auf dem iPad, denn es gibt ein Bezahlsystem für Kleinbeträge und die User lernen dank Apples Store, dass man ab und zu was berappen muss. Zumindest braucht es diese Form der Werbung nicht, wenn der Leser bereit ist zu zahlen.
App verkaufen oder Gratisapp
Apps die Geld kosten sind im Umfeld von ZeitungsApps immer der falsche Weg. Superfalsch ist der (nun verschwindende) Ansatz jede einzelne Zeitungs-/Zeitschriftenausgabe in ein eigene App packen — dieser Fehlleitung stammt noch aus der Zeit als Apple kein In-App Billing ermöglichte.
Aber auch der Verkauf der App selbst (so wie die NZZ App für das iPhone oder Wired App für das iPad) ist falsch. Dies vor allem, weil noch «alles neu ist». Hat man nicht erlebt, wie sich die Zeitung auf dem iPad anfühlt, wie sich funktioniert (offline versus online), ob einem der Online-Konsum grundsätzlich gefällt, ob die Inhalte gut auf die Lesebedürfnisse am Bildschirm angepasst sind etc. habe ich keine Meinung darüber, ob ich bezahlen will. Es geht darum Kunden und deren Erfahrungen zu gewinnen. Ziel ist es zuerst Menschen für sich zu gewinnen und nicht gleich Geld am Eingang zu verlangen. So was nennt man wahrscheinlich eine Investition in die Zukunft.
Zahlungssystem
Aus Sicht der «arrivieren» Verlage offensichtlich eine ganz heikle Frage, für mich aber ist die Antwort glasklar. Es gibt zwei Möglichkeiten: 1) Das Angebot nutzt das Bezahlungssystem des Apple App Store oder 2) ein System ausserhalb… egal welche.
Ja, Apple will einen Drittel der Transaktion… sie leisten aber auch was dafür. Abgesehen von geschäftlichen Argumenten wie den realen Kosten einer Bezahlung geht es um den Aspekt des Impulskaufs («nur einen Knopf drücken») aber um die (visuelle) Integration in das Apple Ökosystems. Apple hat rund 150 Mio. Kreditkarten auf Kundenacounts gespeichert… All die Leute haben den zuvor genannten Knopf schon mal gedrückt. Auch ich selbst habe schon einige Male gekauft, obschon ich mal mit der Idee eingestiegen bin, dass ich «sicher nie» Geld für Apps bezahlen will. Ab und zu ändert man seine Meinung.
Und nun zu den Alternativen. Meist versuchen die Verlage ihre eigenen System zu nutzen. Meine Kauf eines 11 Ausgaben Abos des Spiegels für das iPad zeigt den Unsinn. Die in die Gratisapp des Spiegels integrierte Bestellfunktion öffnet eine Spiegelwebsite zur Zahlung. In meinem Fall hat diese nicht funktioniert, also wechselt ich auf die normale Webversion. Anstelle von «nur einen Knopf drücken» erlebte ich einen Medienbruch, verbrachte Minuten dort und musste meinen Lebenslauf inkl. Kreditkarte nochmals eingeben. Danach bekam ich ein E-Mail mit den Freischaltcode und seit dann heisst mein Username bei Spiegel nicht mehr «jstuker» aber «spon-1275146559581» sehr originell…
Kundenbindung hat nichts mit den Daten im CRM zu tun aber mit eine verdiente Loyalität über gute Erfahrungen.
Granularität und Dauer der Kaufobjekte
Der heilige Gral der Verlage scheint noch immer das Jahres-Abos zu sein. Ob es an den Kosten der Rechnungsstellung auf Papier liegt (vgl. letzter Absatz), an irgendwelchen unsinnigen Zahlen für die Werbeindustrie oder an der Postzustellung der Blattes liegt. Ich verstehe nicht, dass ich mich in der digitalen Welt einem solchen Joch unterwerfen muss. Das Tages Anzeiger auf jeden Fall hat sein «tolles Produkt» bereits für CHF 185.– angekündigt. Falsch und auch hier müssen sich alle Marktteilnehmer an ein neues Modell gewöhnen. Zwei Gedanken.
Über Jahre habe ich erlernt, was eine Zeitung am Kiosk und im Abo kostete. Diese Preise dienen mir unweigerlich als Vergleichsbasis. Was ist also der gerechte Preis, wenn der Druck und die physische Distribution wegfällt (und wo war die Werbung schon wieder ;-)? Bleiben wir beim Tagi bei welchem ein «persönliches» Print-Abo CHF 374.- kostet. Ist der Abschlag von 50% zum iPad-Abo das «physische Agio», so hat Hal Varian in «Newspaper economics» gut gerechnet. Mal sehen, ob sich diese Denke einpendelt.
Nun zur Dauer: Ein Jahr ist total falsch. Da fast alle physischen Probleme weg sind, könnte mal ja mal an den User denken. Ich habe die Zeitung zu Hause und möchte diese digitale Version evt. nur in die Ferien mitnehmen… also ein Abo Wochenabo. Oder ich möchte einzelne Tage / Ressorts kaufen die mich mehr interessieren oder dann, wenn ich digital gegenüber Papier bevorzuge. Zudem gilt es eine Granularität zu finden, welche den Impulskauf unterstützt. Und die Grenze liegt in ein- und nicht im dreistelligen Bereich…
Tipps zu Preis und Kaufabwicklung für Verlagsprodukte auf dem iPad
1) Keine Werbung (oder zumindest über Bezahlung abstellbar)
2) Die App ist gratis und es gibt «echte» Inhalte (z.B. ein Gratisabo) als «Einstiegsdroge»
3) Wird Geld benötigt: Immer das in den Apple Store integrierte Zahlungssystem nutzen
4) Kurze und flexible Kaufoptionen die einen Impulskauf erlauben und Userbedürfnisse adressieren
Meinungen?

6 Kommentare

  • Hallo Jürg,
    ich habe ähnliche Erfahrungen auch gemacht (mit dem iPod). Was auch bei mir besser klappt, sind punktuelle Angebote oder Dienste. Da bezahlt man schnell mal 0,79 oder 0,99 € für ein Teilangebot statt 2,99 € für das ganze.

  • Bin 100%ig einverstanden! Aber solange die Verlagshäuser z.B. immer noch verzweifelt versuchen, an die Kundendaten (Abo-Denke) ranzukommen, dann sehe ich für deren Zukunft immer noch schwarz…
    Ein gutes Beispiel (keine Zeitung) finde ich die iPhone-App «BlickTV for the iPhone», die erstens gratis ist und zweitens während der WM auch für die Nutzung (Live-TV) nix kostet.
    Und danach ist der Schritt für einen in-App-Kauf auch nicht mehr riesig. Das wird wohl nur ein kleiner Teil der User machen, da das TV-Abo manuell gelöst resp. erneuert werden muss. Aber nichtsdestotrotz, die App ist schon mal drauf, der User wurde «angefixt» (WM gratis schauen :-)…
    Ziemlich cleveres Geschäftsmodell, da die TV-Abos überall das gleiche kosten (TV Screen/20min, Zattoo, Tagi/newsnetz…) Aber diese Apps kosten schon schon von Anfang an, entweder schon als App (TVScreen) oder als zwingender inApp-Kauf (Zattoo).
    Einziges Manko ist, dass es die Blick-App nicht fürs iPad gibt.
    Disclosure: ich stehe in keiner Beziehung zu Blick oder Ringier.

  • 1. Problem der Pflichtzahlung:

    • Artikel können nicht mehr verlinkt werden (das Problem fällt in der App zwar weg, aber wenn man den Artikel im Web gratis bekommt, zahlt man nicht in der App; und im Web muss der Artikel verlinkt werden können, sonst funktioniert die Verbreitung über Social Media nicht mehr)
    • Der Verlag kann Werbung nicht gegen Bezahlung abschalten, sonst verliert er zu viel und das was der Leser bezahlt, macht den Verlust nicht wett.
    • Das Publikum wandert auf Gratis-Angebote ab (und allgemeine News sind kaum je so einzigartig, dass sie nicht irgendwo im Netz gratis zu bekommen wären)

    2. Geld für Apps verlangen

    • Das geht meiner Meinung nach schon, denn die Hemmschwelle ist niedrig, darum kaufen die Leute auch dann, wenn sie nicht wissen, ob es sich lohnt oder nicht.
    • Es bringt den Verlagen aber zu wenig, denn die Produktion der Inhalte verursacht ja die grossen Kosten

    2. Freiwillige Bezahlung als Lösung

    • Werbung anklicken tut man auch freiwillig und trotzdem scheint es zu rentieren
    • Die Leute erwarten, dass sie im Web etwas gratis bekommen. Wenn sie etwas geben, dann wollen sie Anerkennung dafür. Das wäre mit einem social Sponsoring möglich.
    • Auf dem iPhone ist man von den Apps abhängig, weil Websites schlechter zu lesen sind. Auf dem iPad gilt das nicht mehr. Daher gelten für Apps dort dieselben Regeln wie für Websites (was das Zahlen anbelangt). Das iPad ist also nicht die Rettung für die Verlage, sondern eine neue Herausforderung. Eine breite Masse wird Blogs für sich entdecken, dadurch werden Verlage sich ein Stück anpassen müssen (und z.B. ihre Journalisten als Persönlichkeiten besser positionieren, so dass sie von Lesern wahrgenommen und gesponsert werden könnten).
  • @Daniel.
    Genau so: Anfixen. Und selbst wenn die Konversion zu einem Abo danach nicht sehr gross ist, ist es sehr wahrscheinlich ist es immer noch effizienter als «normale» Werbung ausserhalb des iPhone Ökosystems. Zudem ist in den Köpfen der Leute das Thema TV auf dem iPhone mit BlickTV belegt, was sich in einer späteren Aktion nutzen lässt.
    Wo ich mir nicht ganz sicher bin, ob es den Verlagen beim Abo wirklich auf die Kundendaten ankommt. Ausser, dass immer wieder einmal ein Callcenter erfolglos anruft, nutzen sie diese kaum. Dabei wäre die Treue zu einem Brand wie beispielsweise Tagi oder NZZ (sorry bin halt Zürcher) so gross.. aber nichts geschieht, was auf diesem Vertrauen basieren würden.

  • @Jens.
    1) Pflichzahlung
    Im Web bin ich zu 100% gegen Paywalls… ein Modell bei welchem sich Werbung gegen Treue/Abo/Geld abstellen lässt, hat meinem Wissen nach noch niemand versucht. Auf dem iPad spielt die Werbung zur Zeit ja noch eine sehr kleine Rolle (und verlässt auch den Kontext der App – was sehr schlecht ist) – aber das könnte ich evt. noch ändern. Also bleibe ich beim AdBlocker 😉
    Dass die Leute «einfach so» zu Gratisangeboten abwandern bezweifle ich. Die Leute die das tun, würden auch nie Kunden von Bezahlangeboten. Ich selbst bin aber bereit für Qualität (sei es Sekletion, Hintergrund, Multimedialität etc.) was zu bezahlen…
    2) Geld für Apps verlangen
    Ja, aber ich will die App ausprobieren beispielsweise mir der Light-Version. Und wie gross die Kosten für die Inhalte sind gilt es genau anzuschauen. Die verlinkte Studie vom Hal Varian spricht von 14% Editorial costs (der Gesamtkosten einer Print-Zeitung).
    3) Freiwillige Bezahlung als Lösung
    Ja, in meinem Kopf gibt es diese Lösung auch, aber bis jetzt hat noch kein System funktioniert. Evt. ist der «Körperteil Geldbeutel» doch sehr empfindlich, und wenn es niemand bemerkt, drückt man sich zu gerne um die Verantwortung.
    Bei der Werbung gilt es Ziele aus Sicht de Werbetreibenden zu erreichen. Und da genügt ein Klick auf die Werbeform nicht (zudem führt er weg vom Angebot)… Eigentlich müssten hier erreichte Konversionsziele der Massstab sein.
    Nicht einverstanden bin ich, dass die Apps auf dem iPad weniger wichtig sind, weil die Websites besser funktionieren. Usability oder Offline-Funktionalität rechtfertigen (gut gemachte) Anwendungen.

Digital sozialisiert, Denker, Macher und Angel Investor.